Band I: Ovid, Metamorphosen

Band I zu Ovids Metamorphosen  (Textband und Lehrerkommentar) ist zusammen mit Günter Laser erstellt (Fachleiter Latein am Studienseminar Bocholt), der sich seit Jahren intensiv mit Methoden szenischer Interpretation befasst hat.

Der Band ist gedacht als Begleitheft zur Textausgabe der Metamorphosen (Latein Kreativ, Bd. I), kann jedoch zu jeder anderen Metamorphosen-Ausgabe mit benutzt werden. Er gibt viele konkrete und leicht umzusetzende Anregungen zu verschiedenen Formen szenischer Interpretation. Diese werden in einem Vorspann erläutert und anhand von Bildern und Aufwärmübungen nahegebracht.
Das Ziel szenischen Interpretierens ist die Vertiefung der Interpretation und zugleich die Anregung zu einer persönlichen Beteiligung. Szenisches Interpretieren macht die abstrakten Vorgänge, die in einer Erzählung beschrieben und beim Lesen mit Hilfe von Verstand und Phantasie aufgegriffen werden, persönlich erlebbar und damit oft überhaupt erst nachvollziehbar. Indem Schülerinnen und Schüler z. B. eine bestimmte Körperhaltung einnehmen, die Beziehung von Personen in einem Standbild nachstellen oder die Phasen der Verwandlung körpersprachlich begleiten, fühlen sie sich in das Leben und Erleben der Handlungsfiguren ein und begleiten die weitere Lektüre aus einem inneren Interesse heraus. Szenisches Interpretieren ist demnach auch eine Form eines humanen, auf das Individuum bezogenen Unterrichts.

Das Begleitheft integriert viele moderne Bilder, oft von jugendlichen Künstlern weltweit erstellt. Auf diese Weise soll die aktuelle Bedeutung des Mythos ersichtlich werden und sein Potenzial zur „Daseinsdeutung“ (vgl. den Titel von Eugen Drewermann) erschlossen werden. Da viele Erzählungen Ovids schon in sich szenische Gestaltung aufweisen und das oft dramatische Geschehen, vor allem der Verwandlung, zur Konkretisierung anregt, bieten sich szenische Gestaltung (als Verlebendigung und als persönliche Aneignung von Geschehnissen) und szenische Interpretation (als Wahrnehmung der besonderen Erzählform Ovids) geradezu an. Das Einnehmen einer bestimmten Rolle in einer bestimmten Handlungs- oder Beziehungssituation dient nicht (nur) der Verlebendigung des Unterrichtes, sondern bewirkt eine emotionale und ganzheitliche Beteiligung der Schüler. Auf diese Weise versetzen sie sich viel intensiver in das Leben und Erleben der Handlungsfiguren hinein und begleiten deren Entwicklung mit größerem Interesse. 

Die folgenden Methoden werden im Beiheft aufgegriffen:
- Das Einnehmen einer Körperhaltung (als Ausdruck und zur Konkretisierung innerer Empfindungen) [z. B.: Wie fühlt sich Ikarus während des Fluges?]
- Die Entwicklung von Standbildern (als Nachstellen und Nacherleben einer Haltung oder Einstellung) [z. B.: Was empfindet die in einen Baum verwandelte Daphne?]
- Das Bilden einer Figurengruppe (als Veranschaulichung von Beziehungen) [z. B.: Wie stehen die Lykischen Bauern zu Latona?]
- Bewegungsübungen (zur Konkretisierung der von Ovid beschriebenen Vorgänge) [z. B.: Wie geht die Göttin Latona an den Teich heran?]
- Szenisches Spiel (auch als Weiterführung oder Verfremdung einer Erzählsituation) [z. B.: Wie hätte Niobe nach dem Tod der sieben Söhne reagieren können?]
- Intervention (zwischen Rollendarstellern und Beobachtern) [z. B.: Was möchten die Freunde des Narcissus ihm sagen, während dieser selbstversunken am Teich liegt?]
- Inszenierungen (als Veranschaulichung einer einzelnen Szene oder einer Szenenfolge) [z. B.: Wie kann man sich den Rückweg des Orpheus aus der Unterwelt vorstellen? Was passiert auf diesem Wege?]
- Das Verfassen von Rollenkarten (zur Einfühlung in eine Rolle) [z. B.: Genau Beschreibung der Rolle, die Dädalus gegenüber seinem Sohn Ikarus einnimmt.]
- Vorstellungsübungen (zur sinnlichen Veranschaulichung von Erlebnissen) [z. B.: Welche Sinneseindrücke erlebt Ikarus während seines Fluges? Was spürt, sieht, riecht ... er?]
- Sprechübungen (zur Konkretisierung von Sprechakten) [z. B.: Wie spricht/singt Orpheus vor den Unterweltsgöttern (Tonfall, Lautstärke, Ausdruck von Empfindungen etc.)?]
- Die Entwicklung einer Rollenbiographie (zur Veranschaulichung des Werdeganges einer Person) [z. B.: Wie ist Daphne dazu gekommen, Ehe und Liebe abzulehnen und nach einer alternativen Lebensform zu suchen?]
- Die Durchführung von Rolleninterviews (zur spontanen Ausformung einer Rolle) [z. B.: Befragung von Pygmalions Statue]
- Rollengespräch (zur Intensivierung einer Rolle oder als Hilfe zur Einfühlung) [z. B.: gemeinsame Entwicklung der Rolle, die König Minos gegenüber Dädalus einnimmt]
- Stimmskulptur (als Ausdruck innerer Haltungen und Empfindungen) [z. B.: Was empfindet die sich verwandelnde Niobe oder auch die Zuschauer eines solchen Verwandlungsprozesses?]
- Schriftliche Übungen (zur Einfühlung oder Intensivierung von Rollen) [z. B.: Tagebucheinträge zu einzelnen Ereignissen oder Szenen]
- Kreative Darstellungsformen [z. B.: Filmstills, Collagen, Pantomime, Ausdruckstanz ...]


Die bildende Kunst (Statuen und Bilder) ist dem Szenischen eng verbunden und hat schon immer versucht, einen lebendigen und stimmigen Ausdruck für das literarische Geschehen zu finden. Insofern ergänzen sich bildhafte und szenische Ansätze in idealer Weise.
Die folgenden Bilder von Statuen zu Erzählungen aus den Metamorphosen sollen dies demonstrieren. Die Aufgabe, eine bestimmte Haltung einzunehmen und nachzuahmen (nicht nur äußerlich, der Haltung nach, sondern auch innerlich, dem Empfinden nach) oder auch eine eigene, für sich stimmige Haltung zu finden und zu entdecken, stellt ein spannendes Moment dar. Aus dem Vergleich ergeben sich Deutungsansätze, die schnell zu einer tieferen Interpretation führen können.